Rahmenprogramm zum Weltstädtetag 2020 – Kiel ist bunt!

(Über)Morgen - Wie wir Zukunft in unseren Städten gestalten

Ein Bericht von Frauke Pleines (BEI) und Louisa Osburg (BEI)

Wir befinden uns im Zeitalter der Städte. Der Anteil der Menschen, die in Städten lebt, beträgt heute schon über 50% - Tendenz steigend. Städte sind damit sowohl Teils des Problems als auch entscheidender Teil der Lösung mit Blick auf die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die unsere Welt bis 2030 zu einem nachhaltigen inklusiven, friedlichen, ja besseren Ort machen sollen.

Anlässlich des Weltstädtetages 2020, einem Tag ausgerufen von den Vereinten Nationen, der einmal jährlich stattfindet und genau für diese zentrale Bedeutung von Städte sensibilisieren soll, veranstaltete das Bündnis Eine Welt SH e.V. (BEI) in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Anscharcampus am Donnerstag, den 29.10.2020 eine Podiumsdiskussion, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit live aus dem Atelierraum im Anscharpark über Zoom übertragen wurde. Mit dabei waren Frau Wiprich von der Stadt Kiel (Internationales und Nachhaltigkeit), Jasmin Tarhouni vom Wirtschaftsbüro Gaarden, Andrea Cederquist vom Projekt cultural urban planning sowie Claudia Zempel vom Städteverband SH, moderiert von Annette Wiese-Krukowska, der Leiterin des Referats Kultur & Kreative Stadt in Kiel. Im Vorfeld der Podiumsdiskussion wurde zunächst ein Videointerview aus Moshi Rural/ Tansania gezeigt. Lotte Nawothning (Bündnis Eine Welt SH) hatte dies im Rahmen des von der Stadt Kiel geförderten Projektes Civil Society Dialogue on Sustainable Development (CSDSD), welches den interkulturellen Austausch von Akteur*innen aus fünf ganz unterschiedlichen Städten (Brest, Hatay, Kiel, Moshi Rural, San Francisco) ermöglicht und das Bewusstsein für die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG) stärkt, im Vorfeld aufgenommen, um an diesem Abend nicht nur die Kieler Perspektive auf Stadtentwicklung im Kontext der SDGs darzustellen sondern auch zu schauen, was passiert im globalen Süden? Wie geht Moshi Rural mit der Umsetzung der Agenda 2030 um?

Im Anschluss an das Video gab Prof. Jürgen Oßenbrügge von der Universität Hamburg einen Input und Umriss das Feld der Stadtentwicklung im Kontext der SDGs, zeichnete Herausforderungen auf, knüpfte an die Aussagen aus dem Video aus Tansania an, hob die Bedeutung  von Städten im Umsetzungsprozess der Agenda 230 hervor und machte deutlich: Noch passiere zu wenig. Die Ambitionen nachhaltige Stadtentwicklung zu betreiben, müssen deutlich steigen. Ein passender Anknüpfungspunkt fürs Podium: Was passiert in Kiel? Wie ambitioniert wird die Umsetzung der SDGs hier vorangetrieben? Frauke Wiprich machte zunächst deutlich, dass Kiel in vielen Bereichen gut aufgestellt ist. Neben ambitionierten Klimaschutz- und Mobilitätskonzepten habe die Stadt zu Recht den deutschen Nachhaltigkeitspreis 2021 bekommen. Aber auch hier gebe es noch viel zu tun. So müsse etwa vor allem im Bereich der Verwaltung das Silodenken in kleinen Strukturen aufhören und Nachhaltigkeit als Leitbild übergreifend verankert werden. Alle Akteurinnen auf dem Podium machten deutlich, dass in ihren unterschiedlichen Arbeitskontexten die SDGs eine Rolle spielen, diese aber, aufgrund ihrer Komplexität und ihres eher elitären Charakters, vor allen in strukturschwachen Stadtteilen (hier oder auch im globalen Süden) nicht an der Lebensrealität der Bewohner*innen anknüpft. Gerade in Zeiten einer globalen Pandemie zeigen sich stärker und offensichtlicher denn je die klaffenden Wunden eines ungleichheitsproduzierenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Leave no one behinde, zentraler Leitsatz der Agenda 2030, wird leider noch zu oft seinem Anspruch nicht gerecht.

Am Weltstädtetag selber (Samstag, 31.10.2020) zeigte das Bündnis Eine Welt mit einer Vielzahl an Kooperationspartner*innen und einem vielseitigen Rahmenprogramm: Kiel ist bunt. In einem zweistündigen Street Art Rundgang durch Gaarden vorbei an bunt gestalteten Häuserfassaden über geschichtsträchtige Bunkerbilder bis zu Straßenunterführungen und legalen Graffitiflächen lud das Wirtschaftsbüro Gaarden zu einer Entdeckungstour auf den Spuren der Ursprünge dieser kreativen Kunstwerke ein. So entstand zum Beispiel am Luftschutzbunker aus dem 2. Weltkrieg ein Wandbild zur Vermittlung der 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) der Vereinten Nationen. Der Inhalt wurde in kunstpädagogischen Workshops mit Jugendlichen thematisiert und im Anschluss durch Künstler an die Wand gebracht. Die wahrscheinlich bunteste Ecke in Gaarden bildet die Kaiserstraße. Das Café Jupiter besitzt seine ganz persönliche Künstlerin: Ju Hyun Lee. Außen als auch innen lässt die bunte Gestaltung nicht zu Wünschen übrig. Geometrische Formen bilden ein Fenster, das Gäste symbolisch willkommen heißt. Die hellen Farben der Außenwände wurden von Benjamin Mastaglio gemeinsam mit Teilnehmer*innen im Laufe eines Workshops kreiert und sind der Hingucker an der Kreuzung. Nur ein Stück weiter sorgt eine bunte Wand voller Motive für Aufsehen. Das Kunstwerk entstand ebenfalls in einem Workshop mit Mitarbeiter*innen und Gästen des Trinkraums Hempels unter der Fragestellung „Was verbindet uns mit Gaarden?“. Die entworfenen Zeichnungen wurden von der Künstlerin Jenny Reißmann zu einem einheitlichen Fassadenbild designt und zusammen mit den Künstlerinnen Ju Hyun Lee und Jihae An an die Wand gebracht.

Kreativ ging es auch in der upMöbel-Mitmachaktion auf Hof Akkerboom im Stadteil Mettenhof zu. Gemäß des Mottos: Aus alt mache neu konnten Möbel einen neuen Anstrich bekommen und sogenannte „Tauschkisten“ schenkten Büchern, Gläsern uvm. ebenfalls ein neues Leben. Auch alte Verpackungen waren besonders bei den kleinen Besuchern heiß begehrt, die ihrer Kreativität freien Lauf ließen und von Lotte Nawothnig (BEI) tatkräftig in ihrem Werkeln unterstützt wurden. So entpuppten sich u.a. alte Milchbehälter und Eierboxen als perfekte Bauteile für leuchtende Laternen oder abenteuerliche Piratenschiffe.

In einem Hörspaziergang in der Wik konnte den persönlichen Geschichten der Bewohner*innen an ausgewählten Stationen des Stadtteils gelauscht werden. Angeleitet von dem Team der Initiative Audiowalk Wik (Lea Lükemeier, Julian Wiprich, Sophie Mirpourian) erhielten die Teilnehmer*innen einen neuen Blick für die bekannten Orte oder entdeckten Orte, auf die sie vorher noch nicht aufmerksam wurden.

Ein Filmabend im gemütlichen Fahrradkinokombinat in der Alten Mu in Kiel lud dazu ein über die Kieler Fahrradkultur zu diskutieren. Die niederländische Dokumentation Why we cycle bot genug Diskussionsstoff: Warum also Fahrradfahren? Neben den gesundheitlichen Aspekten hebt der einstündige Dokumentarfilm weitere positive Eigenschaften des intensiven Fahrradfahrens in Städten hervor: Die Städte sind freier, zugänglicher die Luft besser und die Menschen glücklicher. Im anschließenden Workshop unter der Leitung der Raumstrategin Marion Kleine-Onnebrink ging es erst mal um ein Revue passieren lassen des Gesehenen. Die Teilnehmenden waren schon im Vorfeld des Films angehalten kleine Kieler Fahrradgeschichten aufzuschreiben und diese auf einer ausgedruckten Karte zu verorten. Die Geschichten als Aufhänger ging es dann aber nicht mehr nur um Kiel sondern insgesamt darum, wie Städte über alternative Mobilitätskonzepte anders, nachhaltiger und damit auch im globalen Kontext gerechter gestaltet werden können. Fahrrad fahren als das neue normal sozusagen. Schließlich schädigt vor allem der Individualverkehr stark das Klima und die Herstellung von Autos basiert zum großen Teil auf der Ausbeutung endlicher Ressourcen im globalen Süden. Auch eine Verknüpfung zu den SDGs zeigte: Es interagieren fast alle Ziele mit dem Thema Mobilität. Um die Agenda bis 2030 zu erreichen braucht es neben vielen anderen Dingen eben auch andere Verkehrskonzepte und ein Neudenken von Mobilität, insbesondere bei uns im globalen Norden.  

Zu guter Letzt hatten wir auch in diesem Jahr die tolle Möglichkeit in Kooperation mit dem AWO Servicehaus Lübscher Baum in Kiel und der dort angesiedelten Stelle zur Quartiersentwicklung sowie der Vonovia ein weiteres Streetartprojekt durchzuführen. In diesem Jahr drehte sich alles um das globale Nachhaltigkeitsziel 11: Nachhaltige Städte und Gemeinden. Gemeinsam mit den Senior*innen des Servicehauses und Jugendlichen der Hermann Löns Gemeinschaftsschule stellten wir uns die Frage: Wie möchten wir in unserer Stadt, in unserem Stadtteil zusammen leben und was hat das mit den globalen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) zu tun? In einem vorbereitenden Workshop diskutierten wir unsere Wünsche und Forderungen an eine nachhaltige Stadt und versuchten diese in Bildideen zu gießen. Neben mehr Grünflächen und dem Wunsch nach alternativen Formen der Mobilität wurde auch deutlich, dass sich die Teilnehmenden gerechte, offene und inklusive Städte wünschen. Und das die Art und Weise des Lebens in Städten hier auch Auswirkungen auf das Leben in Städten anderswo hat und wir somit auch eine globale Verantwortung tragen. Unter Mithilfe der Jugendlichen wurden die Wandmotive gemeinsam mit den Streetartkünstlern von Vanartizm und Baltic Art im Oktober an die ausgewählten Fassaden des AWO Servicehauses am Lübscher Baum 6  gebracht. Dieses ist nämlich auch ein öffentlicher Begegnungsort mit einem Garten im Hinterhof, der allen Bewohner*innen des Stadtteils zugänglich ist. Das geplante Einweihungsfest des Graffiti-Projekts „Bunte Farbe fürs Quartier“ bzw. die daraus entstandenen Kunstwerke konnten leider aufgrund der aktuellen Entwicklungen der Pandemie nicht feierlich eingeweiht werden. Eine Fotostrecke der bunten Motive wird jedoch schon bald veröffentlicht werden.

Wir bedanken uns bei allen Kooperationspartner*innen, Förderern, Unterstützer*innen und freue uns schon jetzt auf den Weltstädtetag 2021!

Veranstalter:
Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e.V. (BEI)

Die Veranstaltung war Teil des  SDG-Jahresthemenprogrammes „Die Sustainable Development Goals (SDG) in Schleswig-Holstein – Nachhaltigkeit auf dem Prüfstand“ des BEI, in Kooperation mit dem Wirtschaftsbüro Gaarden, dem Soziale Stadt Büro Gaarden, cultural urban planning, Heinrich-Böll-Stiftung SH, Anscharcampus, Atelieraum im Anscharpark, Transformatives Denk- und Machwerk e.V., Hof Akkerboom e.V., upMöbeln, AWO Servicehaus Lübscher Baum sowie der AWO Quartiersentwicklung, gefördert durch Engagement Global mit finanzieller Unterstützung des BMZ, BINGO! Die Umweltlotterie sowie dem kirchlichen Entwicklungsdienst der Nordkirche (KED) und den Katholischen Fond

Sie haben Interesse an dem Thema globale Nachhaltigkeit?

Zur Themenseite

Weitere Infos und Kontakt

Zurück