Bericht zum interaktiven Theaterstück:

"Entwicklungszusammenarbeit auf der Anklagebank" am 11.10.2018 in Kiel

Die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wird zurecht immer wieder kontrovers diskutiert. Wie sinnvoll ist sie und was konnte in über 60 Jahren EZ erreicht werden? Diese Fragen stellte sich auch das BEI und lud deshalb am 11. Oktober 2018 ins Kieler Kulturzentrum „Die Pumpe“ zu dem interaktiven Theaterstück „Entwicklungszusammenarbeit auf der Anklagebank“ ein, wo der EZ der Prozess gemacht wurde.

Die Hauptakteure Friedbert Ottacher (Ottacher Development Consulting), Thomas Vogel  (Horizont 3000) und Johanna Mang (Licht für die Welt) in den Rollen des Anklägers, des Verteidigers und der Richterin, waren eigens aus Österreich angereist. Seit langem in der EZ aktiv, haben sie das Stück vor einigen Jahren selbst entwickelt, um zum kritischen Diskurs über die EZ anzuregen.

Foto: Plädoyer der Staatsanwaltschaft und
Zeugenstand beim Prozess.
© 2018 BEI-SH // Volker Leptien

Der simulierte Prozess beginnt mit der Verlesung der Anklageschrift. Als zentrale Argumente der Anklage werden die Korruption als „Zwillingsbruder der EZ“ genannt oder der Rassismus, ebenso wie die sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Eigeninteressen der Geberländer. Erschwerend hinzu käme das Ausbleiben signifikanter Erfolge - angesichts von über 800 Millionen Hungernden und einer Milliarde Menschen in Armut. Gleichzeitig zählten 32 Staaten in Afrika, wohin die meisten EZ-Gelder fließen würden, zu den am wenigsten entwickelten Ländern.

Demgegenüber kontert die Verteidigung mit der Halbierung der Armutsrate und
einer ebensolchen Reduzierung der Sterblichkeitsrate in den Ländern des Globalen Südens. Außerdem weist sie auf Schwierigkeiten in Bezug auf die nicht zu vereinheitlichende Natur der EZ hin oder bei der Definition des Entwicklungsbegriffs sowie auf die geringe finanzielle Ausstattung der EZ. Nebenbei erinnert die Verteidigung auch an diverse fehlkalkulierte Großprojekte in Deutschland wie den Berliner Flughafen oder die Hamburger Elbphilharmonie.

Im weiteren Verlauf rufen Verteidigung und Anklage sieben vorab ausgewählte, lokale Zeug*innen in den Zeugenstand, um diese zu ihren persönlichen und beruflichen Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit zu befragen. Das bietet dem Publikum einen vielseitigen Einblick in die ambivalente Realität der EZ.

Foto: Richterin Johanna Mang
© 2018 BEI-SH // Volker Leptien

Zunächst wird Dr. Salomo, Experte in Sachen Genossenschaftswesen, in den Zeugenstand gerufen. Er führt an, dass seit 2010 aus gutem Grund nicht mehr von „Entwicklungshilfe“, sondern von „Entwicklungszusammenarbeit“ gesprochen werde und die EZ zunehmend auf Partnerschaft setze. Zwar gäbe es nach wie vor Probleme in Struktur und Umsetzung der EZ, denen man sich auch stellen müsse, aber vieles hätte sich bereits verbessert.

Eine ehemalige Mitarbeiterin der EZ sieht einen Vorteil großer EZ-Organisationen in den festen Strukturen, der Sicherheit und den Ansprechstellen in Problemfällen. Sie stellt dem jedoch den größeren Gestaltungsspielraum von kleineren Vereinen gegenüber und deren Nähe zu den Menschen vor Ort. Eine weitere Zeugin, die als „Freiwillige“ in der EZ beschäftigt war, merkt an, dass ihre Aufgaben auch von einheimischen Kräften hätten übernommen werden können und empfiehlt die Unterstützung lokaler Expert*innen vor Ort. Dennoch befürwortet sie die EZ, weil sie das entwicklungspolitische Engagement fördere.

„Entwicklungshilfe hat nie funktioniert“, so die Gegenposition von Blessing Hoppe von FARD e.V.. Sie kritisiert die Arroganz der EZ und spricht sich für ein Umdenken in der vornehmlich westlich geprägten Vorstellung von Entwicklung aus. Lazare Tomdio von Perspektives Cameroun, ist überzeugt, dass kleine Migrant*innen-Organisationen, wie seine, mehr erreichen könnten als Regierungen und fordert von der EZ eine stärkere Einbeziehung der Menschen vor Ort.

Außerdem in den Zeugenstand gerufen wurde ein Vertreter der Firma my Boo. Er ist überzeugt, dass „unternehmerisches Engagement Entwicklung schafft“ und merkt an, dass ausländische Organisationen oft die Bedarfe nicht kennen und die Bevölkerung bei ihren Projekten nicht mitnehmen würden. Er macht jedoch auch deutlich, dass wirtschaftliche Unternehmen nicht alles abdecken könnten und man die EZ brauche.

Das Urteil fällte schließlich das Publikum. In der Rolle der Schöffinnen und Schöffen urteilten die ca. 80 Gäste mit einer beinahe dreiviertel Mehrheit für die Fortführung der Entwicklungszusammenarbeit.

Wie nicht anders zu erwarten, legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. Die Verhandlung und die Diskussion um die EZ geht also weiter. Die nächste Gerichtsverhandlung wird anberaumt für den 19. März in Liechtenstein!

Fazit:

Es gibt nicht die eine Entwicklungszusammenarbeit, die gut oder schlecht ist. Es gibt eine Vielfalt an verschiedenen Akteur*innen im Bereich der EZ und es stellt sich die Frage: „Wer sitzt eigentlich auf der Anklagebank?“

Gute nachhaltige EZ berücksichtigt ethische Verantwortung und fordert fachliche und methodische Expertise. Die Entwicklungszusammenarbeit hat sich im Laufe der sechs Jahrzehnte gewandelt und v.a. in Sachen Professionalität, Partizipation und Ownership weiterentwickelt. Zentral ist deshalb nicht die Frage, ob die Entwicklungszusammenarbeit weitergeführt werden soll, sondern wie sie in Zukunft gestaltet werden muss, damit sie zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt!

Weitere Informationen, Anmeldung und Kontakt:
Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e.V. (BEI),
Katharina Desch (Promotorin für globale Partnerschaften und Entwicklung),
katharina.desch@bei-sh.org, Tel.: 0152-02304079, www.bei-sh.org,
www.bei-sh.org/theater-ez-auf-der-anklagebank.html

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