Digitale Filmreihe: Zukunft(s)gestalten – Mensch.Stadt.Moderne

Filmabend „Why We Cycle"

Ein Bericht von Louisa Osburg (BEI)

Am 09.12.2020 läutete das Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein zusammen mit dem Transformativen Denk-und Machwerk aus Flensburg seinen letzten Filmabend der digitalen Filmreihe „Zukunft(s)gestalten – Mensch.Stadt.Moderne“ ein.

Etwa alle sechs Monate wird eine andere Fahrradparkanlage eröffnet, die Größe dieser Anlagen ist weltweiter Spitzenreiter und mehr als 37.000 Personen bewegen sich täglich auf den verkehrsreichsten Radwegen – keine Frage, die Niederlande haben ein ausgeklügeltes System entwickelt, das sich mit viel Erfahrung und bürgerlichem Zusammenhalt als Vorbild im Thema Nachhaltigkeit bewähren kann. Das ganze Land besteht aus einem vollständigen Netzwerk mit einer intakten Fahrradinfrastruktur. Während des gesamten Jahres, egal ob es regnet oder schneit, zieht es die Niederländer wie ein Strom mit ihren Fahrrädern raus auf die Straßen.

Der gezeigte Film „Why We Cycle“ (2017) von Gertjan Hulster und Arne Gielen ermöglicht einen Einblick in die niederländische Fahrradkultur und greift dabei die Sicht der Einheimischen bzw. deren hervorgerufenen Fahrraderlebnisse in der alltäglichen Nutzung mit auf. Hierbei wird deutlich, dass sich das Fahrradfahren nicht nur positiv auf die Gesundheit auswirkt, sondern auch Gemeinschaft und kognitive Fähigkeiten fördert. Zwischen den Verkehrsteilnehmer*innen herrscht ein Gefühl der Verbundenheit. „Sie verhalten sich wie eine Schar von Staren, die wie kleine individuelle Organismen herumfliegen und herumwirbeln. Ohne Guide, ohne Plan und noch wichtiger, ohne irgendwelche Zusammenstöße“ (Filmzitat). Zusammenspiel statt Zusammenstoß – das Konzept erfordert Vertrauen, Respekt und Toleranz. Nicht zu unterschätzen ist jedoch auch die Multitasking Fähigkeit, an der sich besonders Kulturfremde zunächst üben müssen. Der Radverkehr basiert auf aktive Kommunikation, fördert die Interkation mit allen Sinnen und ermöglicht gesellschaftliches Beisammensein. Besonders junge Niederländer profitieren von der Mobilität auf zwei Rädern in ihrem sozialen Umfeld und nutzen die Strecken zur Schule oftmals bereits für einen unterhaltsamen Plausch. Auch in Punkto Kreativität haben Radfahrer*innen die Nase vorn. Nicht selten wählen sie neue Routen oder tauchen in verstopfte Straßen ein, in denen sie sich gekonnt durchschlängeln. In einer Datenanalyse ging hervor, dass Entscheidungen eher aufgrund von Gefühlswahrnehmungen als aufgrund von strikten, logischen Plänen der Verkehrsplaner*innen getroffen werden. Neben dem gut gebauten Radweg werden andere Strecken als aufregenderes Erlebnis wahrgenommen und bevorzugt. Radfahren ist für die Niederländer*innen ein Symbol der Freiheit und wird auch als Symbol der Gleichheit stark begrüßt. Der Status bleibt am Fahrrad unerkannt und spielt in den Niederlanden keine Rolle. Diesen Wert gilt es auch in anderen Ländern zu erzielen.

Neben dem Bestreben der Gleichheit wirkt sich eine Reduzierung der Autonutzung außerdem positiv auf das Klima und endliche Ressourcen im globalen Süden aus, die nicht selten ausgebeutet werden. Um die Agenda 2030 zu erfüllen, sollte in diesem Sinne über andere Verkehrskonzepte und ein Umdenken von Mobilität nachgedacht werden, insbesondere in den Städten des globalen Nordens.
Der erste Schritt nach vorne kann mithilfe einer Reflektion und eines Vergleichs erfolgen. Das Rahmenprogramm des Filmabends bot eine Möglichkeit der Annäherung:

Im Anschluss an den Film lud Marion Kleine-Onnebrink, partizipativ arbeitende Raumstrategin und Landschaftsarchitektin, zu einer Gesprächsrunde ein und verdeutlichte die intensive Verstrickung des Themas in den Nachhaltigkeitsgedanken der Agenda 2030. Demnach werden ganze 12 der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele abgedeckt: Keine Armut (1.), Gesundheit und Wohlergehen (3.), Geschlechtergleichheit (5.), Bezahlbare und Saubere Energie (7.), Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum (8.), Industrie, Innovation und Infrastruktur (9.), Weniger Ungleichheiten (10.), Nachhaltige Städte und Gemeinden (11.), Nachhaltige/r Konsum und Produktion (12.), Maßnahmen zum Klimaschutz (13.), Leben an Land (15.) und Partnerschaften zur Erreichung der Ziele (17.).

Wurden bereits erste Erfahrungen auf dem Fahrrad in den Niederlanden gesammelt? Was fiel dabei auf? Welche Dinge können von der niederländischen Fahrradkultur übernommen werden, um die deutsche zu stärken? Wie intensiv und alltäglich wurde das Fahrradfahren in der Kindheit erlebt? In einem ausführlichen Gruppenaustausch setzten sich die Teilnehmer*innen der Veranstaltung gemeinsam mit den Fragen auseinander.
Dabei resultierte, dass man als Gast in den Niederlanden besonders das sichere Fahrradfahrgefühl und die starke, harmonische Kooperation zwischen Autofahrer*innen und Fahrradfahrer*innen in positiver Weise wahrnimmt. Allerdings fehle dem Kulturfremden für das gekonnte Einfädeln in den massiv fließenden Radverkehr noch die Übung. Man brauche Vertrauen, gleichzeitig helfe die Fahrradkultur jedoch auch, dieses Vertrauen zu finden und könne gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. In Deutschland wirkt die Interaktion nicht selten aggressiv und unstimmig, sowohl unter Fahrradfahrer*innen als auch zwischen Auto- und Radfahrer*innen. Wünschenswert ist eine Trennung von Fahrrad- und Autoverkehr mit individueller Berücksichtigung beider Bedürfnisse. Der Raum sollte für Fahrradfahrer*innen angepasst und mit anregenden Komponenten ausgeschmückt werden bzw. sollte es zumindest eine angenehme Strecke ohne Sandwich-Effekt zwischen Auto und Fußgänger*innen geben. Es wird stark dazu appelliert, die Nutzung von Autos in der Stadt zu reduzieren und stattdessen mehr Projekte wie das Fahrrad-Sharing einzuführen. Auch kreative Werbekampagnen im Straßenverkehr können Aufmerksamkeit und positive Veränderungen bewirken. Für junge Fahrradfahrer*innen muss die Infrastruktur dringend ausgebaut werden, da sich hier oftmals auch Fahranfänger*innen auf den Weg ihrer ersten Strecken begeben. Schulen sollten hingegen den Fahrradführerschein in der 4.Klasse zur Pflicht erklären und Eltern wird nahegelegt, mit ihrem Kind den sicheren Umgang im Straßenverkehr auf dem Fahrrad zu üben statt ihm alle Eigenwahrnehmung durch das Bringen und Abholen mit dem Auto zu nehmen.

Wir danken Marion Kleine-Onnebrink und allen Gästen für den so wertvollen Austausch und hoffen, dass wir uns auch im neuen Jahr in interessanten Begegnungen wiedersehen.

 

(Bildquelle 1.Bild: https://twitter.com/hanslak/status/1168886066390192128)

Veranstalter:
Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e.V. (BEI), Transformatives Denk-und Machwerk e.V.

Die Veranstaltung war Teil des SDG-Jahresthemenprogrammes „Die Sustainable Development Goals (SDG) in Schleswig-Holstein – Nachhaltigkeit auf dem Prüfstand“ des BEI, in Kooperation mit dem Transformatives Denk-und Machwerk e.V., gefördert durch Engagement Global mit finanzieller Unterstützung des BMZ, BINGO! Die Umweltlotterie, den Katholischen Fond sowie den Kirchlichen Entwicklungsdienst der Nordkirche (KED).

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